Sprache, Kultur und Tradition

Sprache

Vergraben in der Abgeschiedenheit der hintersten Täler blieb die Walser Sprache als kostbares Zeugnis des Altdeutschen und als Ausdruck einer seiner ältesten Formen erhalten. Diese „in den Bergen eingeschlossene” Sprache hat die großen Änderungen der anderen deutschen Mundarten nicht mitgemacht und behielt außer seinen ursprünglichen Eigenschaften auch seine eigentümlichen Phoneme und typischen, selbst gebildeten Wörter, welche von einer ganz besonderen sprachlichen Eigenständigkeit zeugen.

Heute noch wird das Walserdeutsch als Umgangssprache gesprochen und weist eine reichhaltige dichterische Tradition auf, die sich beispielsweise in den Werken Anna Maria Bachers ausdrückt, einer Walser Dichterin aus dem Pomattertal an der Grenze zur Schweiz.

Das Walserdeutsch ist heute eine geschützte Sprache, die in besonderen Sprachkursen gelehrt wird.

Architektur

Neben der Sprache und den traditionellen Frauentrachten, die heute noch bei festlichen Anlässen getragen werden, ist die Architektur der Wohnhäuser einer der interessantesten Aspekte der Walser Kultur und stellt ein anschauliches Beispiel ihrer Anpassungsfähigkeit an die örtlichen Gegebenheiten dar. Denn alles konnte sich von einem Tal zum anderen ändern: das an Ort vorhandene Baumaterial, die wirtschaftlichen Bedingungen der Ackerarbeit, der Bau- und Lebensraum, der künstlerische Einfluss aus der Talsohle usw.

Und jedes Mal musste eine gegebene Siedlergemeinschaft neue Lösungen finden, die sich in Bezug auf Bautechnik und -stil oft völlig von allen anderen unterschieden. Doch einige grundsätzliche Elemente sind fast identisch bei allen Walser Bauten wiederzufinden. Das auffälligste ist zweifellos der Einsatz von Holz nach der alten Technik des Blockbaus, bei der die Holzstämme ineinander verschränkt werden.

Ein bedeutungsvolles Beispiel der Walser Architektur sind die typischen Häuser von Alagna Valsesia im Piemont, welche auf geschickte Art alle Funktionen des Lebens und Arbeitens in den Bergen in sich vereinen: Wohnhaus, Stall, Speicher, Heuschober, Lager und Werkstatt.

Ebenfalls im Piemont, im Pomatt wie auch in Bosco Gurin, im Kanton Tessin (und weiter in Graubünden), widerspiegelt das Walserhaus hingegen noch treuer die Typologie der ursprünglichen Walliser Täler: Der Stadel mit Stall und Scheune ist ein eigenständiges Gebäude, das oft weiter vom Wohnhaus entfernt steht, während der hintere Teil des Wohnhauses mit dem „Feuerhaus“ (der Küche) aus Stein gemauert ist, um das Gebäude vor Bränden und Stürmen zu schützen.

Die durch den Specksteinofen geheizte Stube ist das Herzstück des Wohnhauses, der bevorzugte Raum der Mythologie und des Alltags vieler Walser Generationen. In der Stube verbrachte die Familie den Großteil des Winters in einer Art „menschlichen Winterschlafs“, dank dem die alten Siedler während langer Zeitspannen – manchmal bis zu acht Monaten – mit den spärlichen Nahrungsmitteln auskommen konnten, welche der Berg im Winter bot, wobei sie weitestmöglich ihre Kräfte schonten.

Das Übersinnliche

Die Abgeschiedenheit der Berge führte dazu, dass die Walser eine reichhaltige Kultur des Übersinnlichen entwickelten, die sich in den althergebrachten Traditionen und im vielfältigen Bestand an phantastischen und übernatürlichen Legenden ausdrückt. In diesen Legenden finden wir die Beziehung mit der überwältigenden Immanenz der Gebirgsnatur, der Hexenjagd und des Aberglaubens, welche an die alten, in Berggebieten vorhandenen heidnischen Religionen erinnern.

In diesem Zusammenhang ist der rätselhafteste Aspekt des Übersinnlichen und der Walser Religiösität wohl der Seelabalgga (nämlich “das Seelenfensterchen”), eine geheimnisvolle Öffnung an der Vorderseite von einigen der ältesten Häuser.

Der Legende nach wurde das kleine Fenster immer dann geöffnet, wenn ein Hausbewohner im Sterben lag, um es seiner Seele zu ermöglichen, frei in den Himmel zu entschweben.

Im Averstal im Kanton Graubünden, wo das Seelenfensterchen an den alten Häusern noch zu sehen ist, befindet sich auf 2’126 Metern über Meer Juf, das europaweit höchstgelegene, ganzjährlich bewohnte Dorf.